Lothar du Mont Jacques – Squadrone di ferri da maglia – Stricknadelgeschwader

Kapitel 1
Margarethe entstieg der Limousine, blickte erwartungsvoll zum Eingang, und ärgerte sich augenblicklich, dort niemanden vom Personal zu ihrem Empfang vorzufinden. Nahezu ihr letztes Geld war für den Wagen nebst Chauffeur, der sie von Zürich hierhergebracht hatte, draufgegangen. Sie konnte nur darauf hoffen, schnellstmöglich einen vermögenden Herren kennen zu lernen, der ihrem Charme erlegen und ihre Auslagen übernehmen würde. Als Operndiva lag ihr einst die Welt zu Füßen, die Häuser überschütteten sie geradezu mit Angeboten, ihr Telefon stand kaum still, ständig versuchte ihre Agentur sie zu weiteren Auftritten zu animieren. Dabei fühlte sie sich leer und ausgepumpt, war des ewigen Reisens, der Flughäfen und Hotelzimmer, wie nobel diese auch ausgestattet waren, müde. Sie fühlte nur noch Leere in sich. Diese Sanatorium am Bodensee war ihr Rückzugsort, hier wollte sie Kraft tanken, zur Ruhe kommen, ihr Leben neu ordnen. Aber dazu brauchte sie vor allem eines, Geld, Geld dass sie nicht hatte. Warum wusste sie nicht, vielmehr wollte sie es nicht wissen. Sie war schon immer gut darin gewesen, Unangenehmes zu verdrängen. Ihr Leben hatte schön zu sein, etwas anderes kam für sie nicht in Frage. Womit sie die Schönheit finanzierte war zweitranging, schließlich war sie eine gefeierte Opernsängerin, eine Diva. Diven brauchten sich um solche Nichtigkeiten wie Geld nicht zu kümmern. Dazu hatten sie ihre Manager, die oftmals gleichzeitig ihre Ehemänner waren. Wie oft war sie verheiratet gewesen? Viermal, fünfmal? Margarete mochte sich nicht daran erinnern, die Erinnerung kostete Kraft, und ihre Kraft würde sie brauchen, um den erstbesten, der nach Geld aussah, zu becircen.
Schwester Marta hatte gerade noch genügend Zeit, den Flachmann verschwinden zu lassen, bevor die Tür zu ihrem Büro geöffnet wurde. Wer immer es war, die Person hatte nach dem Anklopfen nicht auf ein Herein gewartet. Unwirsch sah sie auf und blickte zur Tür, in der eine der Patientinnen stand, und an deren Namen sie sich nicht erinnerte.
»Was kann ich für Sie tun, Frau …«, der Rest der Ansprache ging in einem vorgetäuschten Husten unter. Einer ihrer Angewohnheiten, mit der sie diese kleinen Mängel, Ausdruck ihrer zunehmenden Alkoholabhängigkeit, überspielte.
»Sie haben mich doch rufen lassen«, erwiderte die Angesprochene, sichtlich ratlos, warum Schwester Marta ihr eine solche Frage stellte.
»Frau Hufnagel«, Martas Gedächtnis hatte sie doch noch nicht ganz im Stich gelassen, »ich habe sie nicht rufen lassen. Wer hat ihnen das denn gesagt? «
Der ratlose Gesichtsausdruck sprach Bände. Die Hufnagel stand derart unter Dope, dass man mit ihr nicht reden konnte. In dem Zustand wusste sie weder wer noch wo sie war. Das waren Martas liebsten Patienten. Sie machten wenig Arbeit, man musste sie nur mit etwas beschäftigen. Wozu hatte man Praktikanten, männlich wie weiblich, wenn nicht, um sie dazu einzusetzen, das Klientel zu bespaßen.
»Kommen Sie, Frau Hufnagel, ich bringe sie zurück zu ihrer Gruppe«, sanft nahm Marta ihre Besucherin am Arm und führte sie aus ihrem Büro, welches sie sorgsam verschloss, bevor sie die Verwirrte in den Garten führte.
Mittlerweile hatte der Chauffeur das Gepäck entladen und am Fuß der Treppe abgestellt. Sein Auftrag lautete, die Dame zu dem Sanatorium zu bringen, mehr nicht. Ein letzter Blick in den Fond der Limousine, um sich zu überzeugen, dass seine Passagierin auch nichts liegen gelassen hatte, ein »Alles Gute für Sie, Frau Sollheimer«, mit der Erwartung, ein Trinkgeld zu erhalten. Außer einem gehauchten »Danke» und einem huldvollen Nicken gab es nichts, Warten wäre verlorene Zeit gewesen. Die Räder des wegfahrenden Wagens hinterließen ein knirschendes Geräusch auf dem Kies, das Einzige, was das laute Vogelgezwitscher störte.
Margarethe blickte dem Wagen hinterher, immer noch darauf wartend, dass die Tür sich öffnen, und das Personal zu ihrem Empfang Aufstellung nehmen würde.
Dr. Müller-Thurgau war genervt. Die Gruppe, die er gerade leitete war durchsetzt von Querulanten. So etwas mochte er überhaupt nicht. Alles stellten sie in Frage, anstatt demutsvoll zuzuhören und aus den Erfahrungen ihrer Mitpatienten etwas zu lernen. Vor allem dieser aufgeblasene Dr. Hohenems, seines Zeichens Aufsichtsratsvorsitzender einer bedeuten-den Maschinenfabrik in Winterthur, funkte ständig dazwischen. Dabei wurde er von zwei weiteren Patienten zunehmend unterstützt, einer Pensionats-Direktorin vom Genfer See und einem hochrangigem Militär aus der Innerschweiz. Letzterer hatte ähnlich narzisstische Züge wie er selbst, und so befürchtete er stets, dass dieser ihn bei einer der zweimal wöchentlich stattfindenden The-rapieeinheiten lächerlich machen könnte. Bei einem vom Bundesheer wusste man nie, zu was sie fähig waren, vor allem, wenn sie eine Ausbildung beim Militärischen Abschirmdienst genossen hatten. Etwas Recherche im Internet würde genügen, um festzustellen, dass er Urs Müller hieß, und sich den Thurgau nach der Hochzeit einfach an den Müller angehängt hatte. Ein Vorfahre seiner Frau war es gewesen, der die gleichnamige Rebsorte 1882 in der Forschungsanstalt Geisenheim im Rheingau gezüchtet hatte. Elvira, seine Frau war Önologin, ihr lag das Erbe im Blut. Mit großem Erfolg baute sie auf dem familieneigenen Weingut ihren Rebensaft aus und heimste Jahr für Jahr Gold und Silbermedaillen bei nahezu allen Weinprämierungen ein. Dabei stand sie in Konkurrenz zu ihrem zwei Jahre älteren Bruder, der als Mitinhaber das elterliche Weingut in Wädenswil führte. Obwohl sie den besseren Wein produzierte, war es gewesen, den die Eltern mit der Leitung des Betriebes betraut hatten, als sie sich aufs Altenteil zurückzogen.
Dr. Müller-Thurgaus Ehe bestand seit Jahren nur noch auf dem Papier. Elvira hatte schon kurz nach der Hochzeit fest-gestellt, dass sie einen Blender geheiratet hatte. Während er sich voll auf sein Karriere konzentrierte, die im wesentlichen darin bestand, jedem der ihm auf dem Weg nach oben hilfreich sein konnte, nach dem Mund zu reden, hatte sie neben ihrem Vollzeitjob zwei Kinder geboren und erzogen. Scheidung kam nicht in Frage, dazu war sie zu christlich erzogen. Nach außen hin spielte man glückliche Familie, hinter den Gardinen gab es nur mehr gegenseitige Verachtung, die der Kinder wegen auf eine sehr subtile Art zum Ausdruck gebracht wurde. Diese hatten längst mitbekommen, wie es um die Zweisamkeit ihrer Eltern stand, und spielten das Familienspiel auf ihre Art.
Lange schon hatte Urs mit dem Gedanken gespielt, sich eine Geliebte zu nehmen, was ihn davon abhielt waren die damit unweigerlich verbundenen Komplikationen. So begnügte er sich mit gelegentlichen One-Night-Stands und regelmäßigen Besuchen eines Züricher Swinger-Clubs.
Klara saß im Wintergarten und versuchte sich auf ihre Strickerei zu konzentrieren. Sie hasste Handarbeiten, hatte sie schon immer gehasst, schon in der Schule waren sie ihr ein Gräuel gewesen. Da aber alle Damen strickten, und man ihr zudem tagelang in den Ohren gelegen war, sich im nahen Romanshorn Wolle und Nadeln zu besorgen, hatte sie sich ihrem Schicksal ergeben.
Wortführend war Clarissa von der Thann, die nach eigenem Bekunden schon zum sechsten Mal Gast dieser Einrichtung war und den Laden im Griff hatte, wie sie zu sagen pflegte. Ob sie damit das Stricknadelgeschwader meinte, oder aber die Station, wusste niemand. Aus Ehrfurcht sowohl vor dem Namen als auch der Tatsache, dass die Ärmste derart leidend war, dass ein sechster Aufenthalt sich unumgänglich zeigte. Bei Therapeuten und Pflegern war sie hochbeliebt, hatten sie in ihr die Informantin, von der sie die Dinge erfuhren, welche die anderen Patienten nicht erzählten, weder bei ihren Einzelgesprächen noch in einer der zahlreichen Gruppentherapien. Die Angewohnheit, Dinge, die ihr gefielen einfach einzustecken, sah man ihr großzügig nach, wusste man doch, wo man diese wiederfand. Frau von der Thann war nicht nachtragend, dann standen Vasen und andere Dekoartikel eben wieder an ihrem angestammten Platz. Die Klinik war groß, das Gelände weitläufig, immer wieder fielen ihr Dinge ins Auge, die sie unbedingt besitzen musste, wenn es auch manches Mal nur für kurze Zeit war. Dabei hatte sie es bei Gott nicht nötig, zu stehlen, sie verfügte über ein immenses Vermögen, angehäuft von den Vorfahren ihrer Ehemänner, von denen sie bereits zwei auf ihrem letzten Weg begleitet hatte. Ehemann Nummer Drei mache in Finanzen, pflegte sie zu sagen, wenn einer sie danach fragte, ohne genauer zu erklären, was darunter zu verstehen war.
– Fortsetzung folgt –