Lothar du Mont Jacques – Die Kirschernte

Jedes Jahr beginnt die Kirschernte am Fest des Heiligen Isidor von Madrid, d.h. am 15. Mai. Wie jedes Jahr waren wieder zahlreiche marokkanische Erntearbeiter auf unserer Kirschplantage eingetroffen, darunter einige sehr gutaussehende junge Männer, die, wie auch der Rest, in den Mannschaftsunterkünften, zumeist in Vierbettzimmern, untergebracht waren.
Ich hatte mein Abi erfolgreich bestanden und träumte von einem Literatur- und Kunststudium, was, wie ich aufgrund jahrelanger Diskussionen wusste, meinem Vater nicht gefiel. Er hatte andere, dynastische Pläne, wollte mich mit der einzigen Tochter eines anderen Kirschbauern verheiraten und so den Grundbesitz fast verdoppeln. Mir graute vor dieser arrangierten Ehe, wir lebten doch nicht mehr im Mittelalter und außerdem wusste ich seit Beginn der Pubertät, dass ich schwul war und mit Frauen so gut wie nichts anfangen konnte. Im erzkatholischen Spanien der 60er Jahre fiel es nicht auf, wenn man mit achtzehn keine Freundin hatte, dies war normal. Klar hatten wir Sex, wir haben wie alle Jungs seit Beginn der Pubertät gewichst, aber mit schlechtem Gewissen, dafür sorgte schon die alleinseligmachende Kirche mit ihren Vertretern.

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