Burki – Decksjunge

Lebensepisoden – Mittelreif

So ging es los; wir schreiben das Jahr 1959

Rätselhaft! Ich frage mich heute zurückschauend: Weshalb hat mich niemand aufgehalten alles hinzuschmeißen, die Schule, das zuhause, die Freunde, mir einen Seesack zu kaufen, um zur See zu gehen? Meine Eltern hätten mich
eigentlich aufklären müssen. Das Abitur zu machen sei besser. Gingen wohl davon aus, dass ich das Abi machte, besuchte ja unerklärlicherweiße das Gymnasium.
Meine Schulnoten sprachen eigentlich eine andere Sprache. Zahnarzt sollte ich werden, aufgrund familiärer Gegebenheiten. Aber so von ganz allein? Allein aus mir heraus? Wollte ich das eigentlich? Eher nicht! ich hatte
ganz andere Interessen.
Damals war Zahnarzt noch ein Handwerk, Dentist hieß das. Bohrer, Zangen, Brecheisen, Türklinken, letztere gehörten inzwischen der Vergangenheit an, waren die Werkzeuge. Aber eine Gold-Grube war es auch, wie ich erfuhr. Denn Gold befand sich nicht nur in den Gebissen. Bedenkenswert! Aber Nachhilfe war auch kein Thema für mich. Wusste nicht
einmal, dass es sowas gab; gab ja es vielleicht auch nicht in damaliger Zeit.

So saß ich allein am Esstisch vor meinen Schularbeiten, wenn ich denn welche machte, dort lieber vor mich hin träumte. Wovon? Von der geheimnisvollen weiten See, von Stürmen und grünen Wogen, von aufsprühender Gischt, von Brandungen an Gestaden unbekannter Länder, und natürlich von Schiffsuntergängen auf offener See, oder krachend in felsigen Klippen; meine heimliche Leidenschaft, ich gebe es zu. Sie sollten noch Einfluss nehmen auf mein Geschick.

Wie oft stand ich als Junge in Hamburg an den Landungsbrücken, betrachtete vom schwankenden Ponton aus die von Westen heranziehenden Wolken, die schon das Glück gehbabt hatten, das Meer zu sehen, darüber hingwegezogen waren; ich nicht!
Und am nächsten Morgen in der Schule fand ich hoffentlich einen, bei dem ich abschreiben konnte. Die Schule als Furchterlebnis. Meist! Im zarten Alter von sechs Jahren wurde ich an die Tafel gestellt und sollte eine
Rechenaufgabe lösen. Die einfache Rechenlogik hatte ich nicht verstanden, wahrscheinlich von der Lehrkraft schlecht erklärt, und so versagte ich vor der ganzen Klasse!
Das peinliche Erlebnis grub sich unüberwindlich tief in meine Knabenseele – wenn es eine solche gibt -, aber es grub sich eben irgendwo ein. Seither habe ich in Mathematik oft versagt, wenig komplett verstanden, obwohl ich eine Affinität zur Logik habe (habe in meiner späteren Lehrfirma als Lehrling den Logistikwettbewerb gewonnen, als man die Datenverarbeitung – spätere Fügung IBM – einführte).

Ein schulisches Versagens-Schlüsselerlebnis, das mir vermittelte ich wäre doof. Großvater aber war ein Kopfrechen-Genie, rechnete nur im Kopf, alles, seine ganze Buchhaltung! Hätte es auch gekonnt. So sahen mich denn wohl auch meine Klassenkameraden als einen, dem man in Sport eine fünf gab, nur weil er die Formularanforderungen für körperlich viel Größere gar nicht erfüllen konnte. Mein Sportlehrer, ein hirnloser Formularroboter, seiner Zeit
schon weit voraus! Und nicht nur das, ich war ja auch noch klein, dünn und frech natürlich, irgendwie mickrig, träumte vom „Nürnberger Trichter“, von dem ich mal gehört hatte, dass man sich mit dem angeblich Intelligenz einfüllen und das Abi machen konnte. Dieser Traum aber sollte unerfüllt bleiben.

Auf dem Sportplatz war ich der letzte, der für die Fußballmannschaft aufgestellt wurde, und durfte Verteidiger spielen. Wenn aber der Angriff klappt, braucht man mich nicht, dachte ich mir dabei. Bekam dann einen scharfen Ball direkt auf meine Nase und saß danach im Feuerwehrauto. Vorzeitiges Ende also auch dieser Karriere.

Die Reifeprüfung; Tauglichkeitszeugnis für ein erfolgreiches Leben in Partei, Beamtentum, moderner Wirtschaft und Kanzleien wurde uns Schülern so nie vermittelt; wie vieles andere auch nicht. Ich wusste nicht, dass sich die
Menschen nicht nur in Katholiken und Protestanten unterschieden, sondern auch in Abiturienten und Nichtabiturienten. Man wusste, dass das Abi den Zugang zu einer Uni ermöglichte; aber was war das? Und danach? Wozu? Eine andere Ebene eben. Der Klassenbegriff als solcher war mir völlig unbekannt (Elysium!).
Als raufender Junge kennt man keine Klassen, aber Feinde! Studenten waren irgendwie was Besonderes, die hatten immer Ferien. Auch egal! Ferien waren mir nie so wichtig. Es gab Wichtigeres: für einen träumenden Jungen, die weite See zum Beispiel. Welche Universität konnte da mithalten?

Später habe ich Melvilles im Moby Dick gelesen, da stand: „Warum kommt jedem gesunden Jungen mit gesunder Seele im Leib früher oder später einmal die tolle Begier zur See zu gehen.“ Ja, warum wohl? Ich jedenfalls bekam sie ganz unbewusst, natürlich eben, steckte irgendwie drin. Schließlich kommen wir ja alle aus dem Wasser.

Unvergessen die „Flying Interprise“, ein US Frachtschiff, halb gekentert in der stürmischen Nordsee treibend. Auf der Brücke nur die weiße Mütze des Kapitäns Carlsen, mit ihm darunter (weiß ich noch wie heute), tagelang! Stets
guckte ich; gibt’s ihn noch? Ich ging natürlich davon aus, dass er sein Schiff so liebte, wie es sich für einen Kapitän gehört, dass er es nicht verlassen wollte; alle anderen waren schon abgeborgen. Ein Kapitän hatte mit seinem Schiff unterzugehen! Keine Frage, so gehörte sich das! Erst als sich der Frachter vollends in der stürmischen See unrettbar auf die Seite legte, ließ er sich übernehmen. Das war o.k. für mich, er war wichtiger, fand ich; aber ein wenig enttäuscht war ich doch, gebe es zu. Das war im Februar 1951, da war ich elf!
Heute weiß ich, dass das alles nur versicherungsrechtliche Gründe hatte. Wäre das Schiff samt Ladung ohne ein Besatzungsmitglied geborgen worden, wäre es als herrenlose Prise in den Besitz des Berge-Unternehmens
übergegangen. Das hätte aber dem Reeder wenig gefallen. Der Käpt’n also m u s s t e bleiben!

Erinnere; waren in der Elbe mit der Rubin ‚op shit‘ gelaufen. Ein Schlepper kam. Ich stand mit der Leine am Bug. Zuvor aber die Frage: „Nehmen sie Bergelohn?“ das wurde verneint, die Leine wurde übergeben, sonst wären fünfzig Prozent des Schiffswert fällig geworden, so aber tat es eine Stange Zigaretten. Bei Annahme der Leine ohne Rückfrage aber wäre ein Bergevertrag zustande gekommen, und von jedem Seegericht bestätigt worden. Juiiii, ich wusste das nicht. Ich aber hatte die Schleppleine in der Hand. Was das gekostet hätte will ich lieber nicht sagen. Träume, Ideale, hoher Sinn, gegen die brutale, allein an materiellen Werten orientierte Wirklichkeit. Diese
Erfahrungen aber sind späteren Lebensaltern vorbehalten. Gut so! Soviel zur gesellschaftlichen Gegebenheit, in welcher sich ein Schiffsjunge zu bewähren hatte. Aber an Bord gab und gibt ja es auch Hirarchie, und was für
eine! Jeder hält sich da für was Besseres und dann kommen noch die dazu, dies es tatsächlich sind.

Ich komme nach diesem Gedankenausflug zurück auf mein heimliches Interesse an Schiffsuntergängen. Sie sind ja im Grund was ganz Fürchterliches. Man stelle sich das vor. Langsam legt sich das Schiff auf die Seite. Die Boote können nicht mehr abgefiert werden. Panik in den Salons, den Kabinen, auf den Decks. Unter dem Kiel viertausend Meter Tiefe. Alle ihr Ende sichtbar vor Augen. Springen hinunter in die kochende See. Habe ich deshalb später meinen Befähigungsnachweis zur Führung eines Rettungsbootes gemacht? Wusste sogar wie man es zu Wasser lässt und habe es oft geübt, auch die dazugehörigen Kommandos, und ein Zertifikat vom Norddeutschen Lloyd habe ich auch bekommen, ….um es im Ernstfall vorzuweisen, aber wem?

Dann aber – 1957 – das Segelschulschiff Pamir, einer der legendären Flying P-Liner, damals der Pamir-Reederei Zerssen gehörig, versank während eines Orkans im Südatlantik. Die Schwarz-Weiß-Fernsehbildschirme in Deutschland blieben für den Rest des Tages, an diesem 21. September 1957, schwarz. Sechsundachtzig Seeleute galten als vermisst. Das ganze Land war erschüttert von der größten Schifffahrtskatrastrophe der Nachkriegszeit.
Der Untergang der ‚Pamir‘ wurde von den Menschen als nationale Katastrophe empfunden, weil so viele junge, hoffnungsvolle Schiffsjungen, Matrosen und Schiffsoffiziere im Toben der See ertranken, von Haien gefressen wurden.
Einige der Schiffsjungen (fälschlicherweise als Kadetten bezeichnet) kämpften aber noch auf drei lecken, hölzernen Rettungsbooten um ihr Überleben. Das einzig Geborgene steht als Ehrenmal in St. Jakobi zu Lübeck, der Gedenkstätte für verschollene Seefahrer. Nur sechs von ihnen wurden nach drei Tagen von dem amerikanischen Dampfschiff „Saxon“ gerettet. Dieses Ereignis, diese sechs geretteten Schiffsjungs, das war unglaublich bewegend für mich. Alle, die mit dem Schiff wenig später der untergegangenen Viermastbark im Meer schwammen, in der bekanntermaßen haidurchwimmelten See, waren Schüler der Hamburger Seemanns-Schule. Mehr als die Hälfte davon unter achzehn Jahre alt! Das war das erste mal, dass ich erfuhr, dass es so eine Schule gab. Eine Seemanns-Schule, wo man lernen konnte
wie man Kapitän wird; Patent A6. Kapitän auf Großer Fahrt! Abgeschreckt hatte mich das alles nicht, im Gegenteil! Das wollte ich werden, da musste ich hin!

Die Chance, das Abitur zu erreichen schätzten meine Lehrer und ich gering ein (hat sich um die Schülerbücherei verdient gemacht, Burkhards Versetzung erscheint ausgeschlossen!) Abschreiben ging nicht mehr. Machte mir also Gedanken über meinen Beruf. Mein Elternhaus verfolgte das Abiturziel nicht mehr merklich, sondern vermittelte mir einen Besuch bei einer sogenannten Berufsberatung. Da mein maritimes Interesse nicht verborgen blieb, und ich inzwischen auf Vermittlung meines Turnlehrers in einen Segelclub eingetreten war, war es für die ‚Berufsberaterin‘ ein Leichtes, mir einen qualifizierten Rat zu geben: Sie schlug mir vor, den schönen Beruf eines Hochseefischers einzuschlagen, die benötigte man nämlich gerade. Neben dem Beruf des Bergmanns ist der des Hochseefischers der körperlich schwerste aller Berufe! Ich aber wog sechsundfünfzig Kilo – soviel wie später unser Schäferhund -, passte also gut durch jede Klüse, sobald eine See über Deck rauschte. Ein gefundenes Fressen für Kabeljau und Seeteufel (heute ist es umgekehrt). Das hat meine Einstellung zu Ämtern, insbesondere zu ‚qualifizierten‘ Berufsberatungen dauerhaft ruiniert. Habe auch später niemanden, mit dem ich es gut meinte, und ich meinte es mit allen gut, diese Institution oder gar den Besuch von Arbeitslosenämtern jemals empfohlen.

In einem nachberuflichen Universitäts-Seminar wurde ich von der Dozentin nach meiner Meinung über eine Berufsberatung gefragt. Davon hielte ich gar nichts, gab ich zu Antwort. Da säßen Verwalter, die sich für ‚Berater‘ (in der Politik heißen sie Experten) ausgeben, die das Berufsleben nur aus Büchern kennen, die sie häufig nur im Cover oder gar nicht gelesen oder verstanden haben konnten. Gern aber hätte man gehört, dass ich das hohe Lied dieser löblichen Einrichtung vor den jungen, unorientiert hilflosen Studenten gesungen hätte. Das Leben aber ist eben anders….

Als ich dann mit meinen achtzehn Jahren einem Clubkameraden, bei dem ich oft mitsegelte, mitteilte ich ginge nun zur See, und hätte mich auf der Seemannsschule Hamburg angemeldet, da nahm er meine Hände in seine, blickte drauf – vergesse ich nie – und sagte nur: „ Was? mit diesen Handgelenken?“ Zugegeben, sie waren und sind immer noch wie Streichhölzer. Später aber habe ich gelernt, auf die Handgelenke kommt es auch an, besonders aber auf einen festen Griff, allein darauf! Man muss Vertrauen zu seinen Händen entwickeln, wenn man in die Takelage klettert. Das aber hatte ich durch das ständige Ziehen an der Fockschot auf den Segelbooten aus der Hand, ohne Winsch und Kurbel! Blasen an den Händen waren normal, immer. Kletternde Eichhörnchen haben auch zarte Gelenke, aber einen festen Griff! Ihr Körpergewicht halten sie bequem, darauf kommt es an!

Und dann kam ich auf die Seemannsschule in Bremervörde. Meine Mutter hatte widerspruchslos meine Namensschildchen in die Arbeitshemden meiner künftigen Schule genäht. Niemand hat mich je gefragt, ob ich denn verrückt geworden wäre. Man ließ mich laufen…eine bessere Schule fürs Leben gab es nicht, war es das? …Die See zieht und erzieht……..alle, oder sortiert aus! Fragt nicht. Meine Eltern aber wussten von der See nichts. Eigentlich
entließen sie mich auf Nimmerwiedersehen. Familien-, sohnlos, enkellos. Wie das? Eigentlich ein Abschied auf immer. Seemann ist kein Büroberuf! Für diesen unbewussten Freiheitsakt aber bin ich ihnen dankbar. War aus dem behüteten Familienverband in eine ihnen und mir unbekannte, fremde Welt kommentarlos, empfehlungslos, ratlos entlassen! Es war meine Entscheidung! Niemand hat versucht, mich aufzuhalten. Die Handelmarine galt als „Christliche Seefahrt“, das klang vielleicht beruhigend für so manchen. Ich aber, ungetauft, unaufgeklärt wie ich nun mal war, hatte mich
dafür entschieden. Befand mich in einer Art natürlichem Naturzustand, mittelreif eben. Mein Gott an Bord war der Kapitän, einen andern brauchte ich da nicht; der hätte auch keinen anderen neben sich geduldet. Auch der Zehn
Gebote brauchte es da nicht an Bord! Die hätten auch eine andere Prägung!
Die zehn Gebote für einen Schiffjungen lauteten anders. Als ich wenig später, nach der seemännischen Grundausbildung, als Schiffsjunge am Ruder des kleinen verrosteten Tramp-Frachters ‚M.S. Urania’ der Reederei Krüger, Hamburg, stand, Windstärke 10 bis 11, hoch oben im Nordatlantik, wie man sagt – könnte ja auch unten sein -, hier am Polarkreis eben, da sagte ich zu mir: Jetzt und hier machst du deine Reifeprüfung!

während deine Schulkameraden beheizt auf ihren hölzernen Stühlen sitzen und leise vorsichhin reifen. Die Wellenhöhe beträgt in diesen Breiten zwischen zehn und zwölf Metern, sogenannte Karventsmänner noch viel höher. Ich glaube, ich bin nicht durchgefallen, durfte, musste immer wieder ran. Oben auf die Brücke. Im Ruderhaus beim Kurshalten hatte man nämlich keine Gelegenheit zur Seekrankheit. Kurshalten war Pflicht, egal wie! Die See stand steil über dem Schiff und brach sich gewaltig aufschäumend über die Decks und Brücken, bis zu uns hinauf zum Ruderhaus; mal sah man nur Himmel, mal nur Wasser rundum, immer wieder und wieder, es hörte nicht auf, den Ruderlagenanzeiger aber immer im Blick. Das Betreten der Decks nicht mehr möglich und erlaubt. Volle Deckung sozusagen. In meiner Kajüte
wusste ich nicht, wer ist der Fisch, wenn ich dem Dorsch ins Auge blickte? Wer war hier zum Aquarium geworden?

Bald aber suchten wir Schutz hinter den Norwegischen Schären, es war zu arg. Da aber lief plötzlich die freie See gegen unser Schiff. Ich stand an Deck, die Luvreeling plötzlich himmelhoch über mir, gerade als ich mit einer
Fettspritze dabei war, die Lukenroller der McPershion Patentluke abzudrücken, um sie gangbar zu machen für das bevorstehende Ladunglöschen. Da aber wäre ich beinahe über Bord gegangen. „Eine Hand fürs Schiff, eine Hand für den Mann“ , so lautet das ungeschriebene Gesetz der zivilen Seefahrt; man beachte die Reihenfolge!
Damit der Rudergänger es nicht vergisst steht vor ihm eine Schiefertafel, da hat der Wachhabende den Kurs drauf geschrieben. Meiner lautete auf 2 Grad Kompasskurs, nördlicher geht es fast nicht. Der magnetische Nordpol aber
lag woanders. Wie das? Stets einen Blick auf den Ruderlagenanzeiger, rechtzeitig stützen, damit die Drehung des in Schiffsjungenmanier grobgesteuerten Schiffes kompensiert wird. Irgenwann hatte man es raus.
Wenn ich nicht steuerte war Decksdienst angesagt. Rostklopfen mit einer rotierenden Höllenmaschine in der Hand; ohne Augen-/ Gehörschutz, total rostüberzogen, taub, im splitternden Dreck, danach dann Rostschutzfarbe Mennige, dann grauer Farbauftrag, dann Öl aus der Maschine holen. War man am Heck angekommen, ging es auf der Back (Bug) wieder los. Rost war immer. Gab es nichts zu malen, wurde Farbegewaschen. Ich hing im Bootsmannsstuhl an den Aufbauten auf einem herabhängenden Brettchen mit Leinen gesichert sitzend, mit daran baumelnder, wassergefüllter Pütz (Eimer) und Bürste, und blickte trübe hin über die monoton weite, graue See bis zum Horizont. Könnte mal ein Baum kommen, dachte ich dabei und wusch weiter. Die Schiffsmachine wurde zu einer Melodie, mischte sich mit Windgeräuschen zu einer naturhaften Symphonie. Der Regen rann mir dabei übers Gesicht; Maschine, Regen, Wind, Seeschlag verschmolzen; in der Ferne nur der graue Horizont mit den dahinter liegenden Landmassen; träumte ich jetzt vom Land? Das waren so die Gedanken in diesem trübgrauen Einerlei.

Vor dem Einlaufen in Mosjoen (Polarkreis) Ladeluken fit machen. Ladegeschirr, Kabeltrommeln einfetten, Lukenroller ölen, eimerweise Öl aus den Tiefen der Maschine heraufholen, die Arme im Öl, wo sonst. Sollte dann noch Zeit für was anderes sein, dann war es, dem Smut (Koch) zu assistieren, den Herren Matrosen ihre Steaks vorzulegen. Loriot stellt hierzu fest: „Die gröbsten Tiere haben die feinsten Zungen“, wie wahr! (hier aber speiht ein Rhinozeross gerade die Ehefrau eines Zoobesuchers aus). Der Käpt’n hatte dafür (aber nicht als Nahrung) seine Frau und den mir
bekannten Stewart an Bord. Danach abbacken (abräumen) und Geschirr waschen; Backschaft machen heißt das, und alles seefest verstauen. Hörte ich in meiner Koje liegend und schokoladeessend mein Geschirr in der Pantry gefährlich klirren, in dem groben Auf- und Niedergeschaukel, dann nichts wie raus aus der Koje; alles besser, vor allem seefest stauen. Kaputt gehen durfte an Bord einem Schiffsjungen nichts.

Wir fuhren Zinkbarren von Mosjoen (Norwegen) über den ‚Neuen Seeweg‘ nach Rotterdam. Die Arbeit in der Ladung aber war die schwerste. Die gewaltigen Scheerstöcke mittels einer Rollvorrichtung zusammen schieben, sie verhindern, dass das Schiff zusammengepresst wird von der See. Dann die hölzerne Decksweegerung aufstapeln, sodass die Ladung
unbehindert übernommen werden konnte. Tief unten dann in dem Schlund, die Hieven entgegennehmen und positionieren (s. Tallyman Banana). War das endlich erledigt, das Ganze rückwärts: Luken seefest machen, verschalen, Seepersennig drüber, verkeilen, dann Festmacher einholen, dann Rostklopfen, immer wieder und wieder, dann wieder rauf auf die Brücke und steuern.

Kein Steuermann steuert ein Schiff, das macht stets ein Rudergänger. Sklavenarbeit eben, man führt Kommandos aus, denkt möglichst nicht; unerwünscht, ja schädlich, man wird zu einem Teil der Maschine. Das Kommando ersetzt den eigenen Denkprozess! Wie praktisch! Auf einem Schiff werden (unbewusst) alle zur Maschine. Wehe wenn sie ausfällt!
Vier Stunden, eine ganze Wache stehen und auf die Kompaßrose und den Ruderlagenanzeiger starren, das Steuerrad in der Hand; und die Rose dreht dabei nach Steuerbord, wenn das Schifff nach Backbord dreht, wie das? Ist so ähnlich wie mit der Sommerzeit, niemand weiß, ob früher oder später. Eine Wache – vier Stunden – voll konzentriert sein, nur steuern, gehorchen!

Ich hatte später oft glückliche Entscheidungen für mich getroffen, so auch jetzt! Als ich nämlich erfuhr, dass das Schiff eine Charta für sechs Monate nach Marokko, Tanger, hatte, mit einer Schwefelladung im Bauch, und im Winter sechs Monate durch die Biskaya nach Rotterdam musste, da musterte ich ab. Nein, vergiften wollte ich mich nicht, die Biskaya auch nicht, alles andere reichte schon. Das war rückschauend der einzige und richtige Zeitpunkt in diesem Beruf nicht meine Zukunft zu sehen. Hätte ich sie nicht getroffen, oder hätte ich ein besseres Schiff erwischt (hatte immer von der Bremen geträumt, 1980 zum Abbruch nach Taiwan verkauft und auf dem Weg dorthin am 6. Juni 1980 gesunken) wäre ich wahrscheinlich dabei geblieben und wohl verkommen. Es hätte sich das alles nur wiederholt was ich kennen gelernt hatte, ein Perpetuum; und anderes auch. So jedenfalls kam ich an Körper gestärkt, an Seele gerade noch unverdorben wieder an Land.

Meine Schiffsjungenheuer wurde mir nach Hause überwiesen. Bargeld hatte ich keines. Die Bahnhofsmission in Hamburg hatte auch keins für mich, aber eine warme Suppe. Als Tramp ging es zur Autobahn, zurück mit meinem Seesack in eine ungewisse Zukunft. Eigentlich besaß ich nichts, gar nichts, nur meine Arbeitsklamotten!

Zehn Jahre nach diesem Abenteuer blickte ich von meinem Managerbüro am Dovenfleet über die Dächer der Hamburger Speicherstadt, hinüber zu den Dalben, an denen einst mein Schiff vertäut lag, und ich, die mit dem Stewart leergetrunkenen Bierflaschen, durch das geöffnete Bullseye ins nächtliche Hafenbecken aufplumpsend befördert hatte.
Da liegen sie noch heute, wenn sie nicht weggeschwemmt sind.

Ende